In der Mathematik lernt man schnell, dass es verboten ist, durch die Null zu dividieren. Aber warum? Die Griechen kannten weder die Null noch das Nichts, sondern die Materie, der die Götter ihre Form gaben. Die Juden hingegen kannten das Nichts, aus dem Gott die Welt schuf und kannten im Buch des Lebens, der Kabbala, auch eine Stelle für das Nichts. Ein Christentum, das sich sowohl auf die griechische wie auf die hebräische Kultur bezog, musste diesem Nichts innerhalb der Schöpfung eine Stelle außerhalb der Schöpfung einräumen. Augustin findet für diese Stelle einen Namen: den des Teufels, und gibt ihr einen eschatologischen Sinn.
Die Null und das Nichts – hier beginnt die Geschichte einer verrufenen Zahl und zugleich eine Geschichte des Abwesenden. Mit der Null wird erstmals ein Zeichen verfügbar, das einerseits Zeichen wie alle anderen ist, aber einen Sonderstatus dadurch gewinnt, dass es die Abwesenheit von Zeichen bezeichnet.
Der Mathematiker Brian Rotman veranschaulicht, wie das janusköpfige Konzept der Null in drei ganz unterschiedlichen, scheinbar nicht zusammengehörigen Bereichen Einzug in das abendländische Bewusstsein findet. In der Mathematik handelt es sich um die Zahl Null, in der Malerei um den Fluchtpunkt der Perspektive und im Geldwesen um das referenzlose »imaginäre« Papiergeld. Nicht zuletzt waren, so Rotman, es wohl erst die Vorteile der Null im Stellenwertsystem der Zahlen und das Nullsaldo in der doppelten Buchführung, welche die Null unverzichtbar machte. Rotman geht dieser Geschichte nach und erzählt die Geschichte einer verrufenen Zahl, eine Geschichte, die uns – ausgehend vom Mittelalter – in unsere Gegenwart hineinführt, die zwischen der Null und der Eins oszilliert.
Die Null und das NichtsEine Semiotik des Nullpunkts
Mit einem Beitrag von Dirk Baecker.