In den Seminaren von Niklas Luhmann in den 1980er-Jahren spielten Zwergkängurus eine bedeutende Rolle. Sie waren das Paradigma, an dem sich schulen musste, wer von der modernen Gesellschaft etwas verstehen wollte. Ohne erkennbaren Anlass kam es bei den still vor sich hin grasenden Tieren ab und an zu großen Aufregungen und Prügeleien, die sich gefährlich steigerten, bis sich plötzlich wie auf Kommando alle Tiere in eine Reihe setzten und für eine Weile in dieselbe Richtung schauten. Daraufhin beruhigten sich die Tiere und grasten wieder still vor sich hin.
Luhmann fand das grandios. Er erklärte, offensichtlich würden sich die Tiere durch eine Synchronisation ihrer Umweltwahrnehmung unter Ausschluss von Sozialwahrnehmung beruhigen. Alle sehen dasselbe, ein Stück Wiese, ein paar Büsche. Und da alle nebeneinander sitzen, sehen sie sich nicht selbst. Sie schauen sich nicht an und haben deswegen auch keinen Grund mehr, sich aufzuregen.
Wer über Gesellschaft reflektiert, der sieht sich mit einer ähnlichen Beobachtung konfrontiert, nur dass überall und permanent in die unterschiedlichsten Richtungen geguckt wird. Allgegenwärtig ist die Rede von »Zivilgesellschaft« oder »Bürgergesellschaft«, Gesellschaften für XYZ, von Gesellschaftsthemen, -spielen und -zwängen. Doch in je mehr Richtungen geschaut wird, umso mehr trübt sich der Blick. Gesellschaft ist vor allem deswegen schwer zu fassen, weil sie ebenso sehr aufs Große und Ganze verweist wie auf das Hier und Jetzt. Die mitlaufende Beobachtung dessen, was vorher war und nachher sein kann, gerinnt uns zu jener Gesellschaft, die wir dann allerdings schneller subjektivieren und substantialisieren, als es ihrem Sachverhalt, Sozialverhalt und Zeitverhalt entspricht.
Wozu Gesellschaft?
»Soziologische Irritationsware mit Qualitätsgarantie.« Harry Nutt, Frankfurter Rundschau