Nichts spricht dafür, von einem Text zu erwarten, auf der Stelle zu lesen zu sein, und nichts kann einem versprechen, ihn von der einen Stelle aus lesen zu können. Im »Stellenlesen« wird dies produktiv vergegenwärtigt. Dazu nehmen in diesem Band konstellative Lektüren an Stellen bei Franz Kafka, Samuel Beckett, Theodor W. Adorno und bei Jacques Derrida ihren Ausgangspunkt.
Im »Stellenlesen« zeigt sich, wie das in einem nie ganz gegenwärtigen Jetzt zwischen Vergangenem und Zukünftigen Gelesene in zeitgebundenen, zeitgebenden, zeitzersetzenden, zeiterschöpfenden, unzeitgemäßen und zeitaktuellen wie jederzeit stets ungleichzeitigen Lektüren unausgesetzt in ein vielstelliges Hier und anderswo versetzt zu finden ist. Einander konstellativ kommentierende Lektüren ausgewählter Stellen in den Texten Kafkas, Becketts, Adornos und Derridas sowie korrespondierender Schriften von Paul Celan, Peter Szondi, Walter Benjamin, Roland Barthes, Maurice Blanchot u.a. geben Auskunft über in gängigen Lektüremodalitäten eingeschriebene Vorannahmen und über Möglichkeiten, diese widersprechend oder widersprüchlich zu kommentieren. Und dies nicht in Form eines selbstgewiss sich gegenwärtig meinenden Interpretierens, sondern in der Art eines auf die Künftigkeit eines Anderswo gerichteten »Stellenlesens«. Dies macht in den als literarisch gelesenen Texten Gegenstandpunkte zur Provokation von fortgesetzt widerständigen Gegenlektüren erkennbar. In diesen Lektüren werden Überlegungen zum Datum und zur Zeitmitschrift, zur Verschickung und dem Postalischen, zum Überleben und dem Tod als Autorität des Erzählens, zur Signatur und Wiederholung, zu Aktualität und Medien, zu Ereignis und Nachlese, zur Erinnerung und Toposforschung und zum Wir mit Worten mit disziplinären und methodologischen Fragestellungen zusammengebracht und -gedacht. So lassen sie erkennen, wie produktiv tatsächlich Erörterungen zur Lesezeit und zur Zeit in Lektüren jenseits eingeführter modellhafter Interpretationsformate sein können, um sich grundlegenden Fragen zu Standorten und ihren Reflexionen in und vor und für Lektüren zu stellen, die anders mehr sein wollen als literaturwissenschaftliche Interpretationen.